Gedanken zu gesellschaftlichem Druck auf queere Menschen – Jakobus1,2-12
CN Gewalt, Detransition, Kink
Ich denke gerade offen über Detransition nach, weil ich nicht weiß, wie lange ich dem sozialen Druck noch standhalten kann. Aus meiner Arbeit heraus weiß ich, das es viele trans Personen gibt, denen es so geht. Häufig ist sozialer Druck die Ursache, die Entscheidung für eine Detransition zu treffen. Ich möchte meine Gedanken hier teilen, um dir zu zeigen, das du nicht alleine bist. Vielleicht helfen dir meine Ansätze, Kraft zu finden. Das sind alles sehr hohe Ziele und Anforderungen, die ich mir hier stelle. Ob es wirklich funktioniert und ob ich es schaffe, wird die Zukunft zeigen müssen.
Und um es noch mal klar zu sagen. Detransition ist eine valide Option, egal aus welchen Beweggründen. Wenn du gerade in einer ähnlichen Situation bist, oder vielleicht die Entscheidung für dich schon getroffen hast und Unterstützung auf diesem Weg benötigst, schreibe mich gerne an.
Detransition würde für mich bedeuten, dass ich mich wieder den gesellschaftlichen Normen anpasse. Es verheißt mir, im Alltag meinen Frieden mit der Umgebung zu haben, mich psychisch wieder zu erholen, wieder arbeiten zu gehen und dadurch finanzielle Sicherheit. Für mich eine ziemlich große Versuchung, weil es all das Verspricht, was mir momentan fehlt. Dafür muss ich nur meine Seele – die Sarah in mir – verkaufen. „… und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlösen uns von dem Bösen“ – ziemlich passend, oder?
Heute früh habe ich mir in der Lectio Jakobus 1,2-12 angeschaut und möchte nun gerne meine Gedanken hier teilen.
„2 Meine Brüder und Schwestern, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt, 3 und wisst, dass euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld wirkt. Die Geduld aber soll zu einem vollkommenen Werk führen, damit ihr vollkommen und unversehrt seid und keinen Mangel habt.„
Jemand hat mich mal gefragt, warum ich mich ärgere, wenn eine andere Person etwas tut, das mir nicht gefällt. Wenn ich in Anfechtung falle, also auf der Straße einen negativen Kommentar abbekomme, kann ich mich darüber ärgern. Ich kann aber auch die Entscheidung treffen, nachsichtiger damit umzugehen. Wenn wir mal ehrlich sind, ist den meisten Menschen nicht bewusst, wie verletzend sie in dem Moment sind. Entweder sind es irgendwelche Jugendlichen, die sich damit in ihrer Gruppe profilieren wollen. Und warum tun sie das? Weil sie selber mit sich unzufrieden sind und hoffen dadurch einen höheren Status in ihrer Gruppe zu bekommen. Eigentlich bemitleidenswert. Ich bin da nur der Auslöser für und leider der Kollateralschaden, der dabei entsteht.
Oder es sind andere Menschen, die noch nie mit queeren Menschen in Kontakt gekommen sind. Für sie ist es neu, eine trans Person zu sehen. Da wird dann schon mal länger hingeschaut, um das einzuordnen, was sie gerade sehen. Aus dieser Überraschung kann dann schon mal ein „Wassn das?“, raus rutschen. Und auch das ist sehr Verletzend. Ein Fundament ihres Weltbild wird durch meine bloße Existenz in Frage gestellt. Und um es psychisch zu erklären, fangen sie in diesem Moment damit an, um den Verlust ihres Weltbildes zu trauern. Die erste Phase der Trauer nach Kübler-Ross ist die Verdrängung. Sie reagieren also mit Ablehnung auf mich, also auf meine Transidentität.
Einige – zum Glück wenige – sind da schon einen Schritt weiter in der Phase der Wut. Sie akzeptieren, dass ihr Weltbild nicht funktioniert uns werden darüber Wütend. Und eine Schuldige ist schnell gefunden – Ich. Ich habe ihr Weltbild kaputt gemacht. Das sie eher Wütend auf die Gesellschaft, die dieses falsche Weltbild geprägt hat sein sollten, würde einen Perspektivwechsel und Reflektion bedeuten.
All diese Situationen sind verletzend. Jede für sich ist aushaltbar, aber in der Summe sind sie sehr zermürbend. Wenn ich mich aber jedes mal darüber ärgere und es persönlich nehme, obwohl die Menschen mich nicht kennen, verstärke ich die Macht dieser negativen Erfahrungen.
Menschen können aber lernen Schmerz als etwas positives wahrzunehmen und ihr Schmerzempfinden so herabzusetzen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die sich aus religiösen Gründen schmerzen zufügen. Oder, was ich auch aus eigener Erfahrung kenne. Im Kink können Schmerzen etwas sehr lustvolles sein. Im Alltag bin ich recht empfindlich, aber in einer kinky Situation halte ich viel mehr Schmerzen aus. Oft frage ich mich am nächsten Tag, wie ich das geschafft habe. Oder Menschen, die sich Ritzen, empfinden den Schmerz als etwas heilendes.
Wenn das mit physischen Verletzungen funktioniert, warum nicht auch mit psychischen? Kann ich mich nicht dazu entscheiden, die Kommentare als das zu sehen, was sie sind und was dahinter steckt? Ich erhalte eine direkte Reaktion darauf, das diese Menschen, von mir berührt wurden und ihr Weltbild ein wenig ins Wanken gekommen ist. All das nur, weil ich existiere. Ganz passiv, ohne das ich wirklich etwas dafür tun muss. Mit der nächsten trans Person wird ihr Weltbild weiter wanken, bis es irgendwann in sich zusammenfällt. Vielleicht schaffe ich es ja, mich dann an den Reaktionen zu erfreuen, gerade weil ich weiß, das ich mein Licht in die Welt gesendet habe. Und diese Freude kann mir Helfen mehr zu ertragen und so am Ende zu dem vollkommenen Werk – einer offenen und diversen Gesellschaft – meinen Beitrag zu leisten. Wenn wir dieses Ziel erreicht haben und so akzeptiert werden, wie wir nun mal sind, sind wir in den Augen der Gesellschaft vollkommen, werden nicht mehr angegriffen – unversehrt – und ohne Mangel – queer ist kein gesellschaftlicher Mangel mehr.
„6b denn wer zweifelt, der gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und aufgepeitscht wird.“
Ich Zweifele gerade an mir und meinem Weg. Wie die Wellen wanke ich hin und her. In Safespaces bin ich Sarah, in der Öffentlichkeit, bin ich ein Mann. Das zermürbt. Wer bin ich denn nun? Wer will ich sein? Welchen Weg möchte ich einschlagen? Dieses Hin und Her, dieses unbestimmte macht es mir gerade noch schwerer. Ich muss eine Entscheidung treffen und diesen Weg – zumindest ein Stück – gehen. Diese Entscheidung, welche Geschlechtsidentität ich leben möchte, ob es meine psychische oder physische – so wie die Mehrheitsgesellschaft sie interpretiert – ist, ist das Fundament, auf dem ich mein neues Leben aufbauen kann. Wenn es ständig wankt, kommt auch alles andere darüber ins Wanken und wird mir immer wieder einstürzen.
Zweifel sind gut und wichtig im Prozess um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich halte es für wichtig nicht zu lange zu Zweifeln und am Ende zu einer Entscheidung zu kommen und diesen Weg dann zumindest ein Stück weit zu gehen.
„9 Der Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe;„
Wenig Selbstbewusstsein, ein schlechtes Selbstbild, davon habe ich genug. So lange das so ist, werde ich Schwierigkeiten haben, dem Druck stand zu halten. Diesen Vers verstehe ich als klare Anweisung, mich als das wundervolle Geschöpf, das ich bin zu akzeptieren und mich meiner Höhe zu rühmen. Was nicht heißt, das ich jetzt überheblich werde und mich größer mache als ich bin. Aber ich darf mir meiner Höhe bewusst werden und wachsen.
„12 Selig ist, wer Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.“
Dieser letzte Vers fasst es nochmal gut zusammen. Wenn ich es schaffe die Anfechtungen zu erdulden, mir ein stabiles Fundament aufzubauen, muss es sich noch bewähren. Aber dann wenn es sich bewährt, bekomme ich die „Krone des Lebens“. Ich kann endlich wieder anfangen frei zu leben und diesem, meinem, Leben die Krone aufsetzen. Am Ende meines Lebens kann ich dann stolz zurückschauen und mich an allem erfreuen, das ich erreicht habe.