Rede zur ReclaimYourKiez Demo
Es ist schön zu sehen, wie viele Menschen hier sind. Danke, das ihr alle hier seid um für eine offene und tolerantere Gesellschaft einzustehen. Danke, das du da bist. Und Danke, das ich hier stehen darf und gehört werde.
Ich bin Sarah, queerpolitische Aktivistin in und aus Köpenick. Ich habe das große Privileg im Moment keiner Erwerbsarbeit nachkommen zu müssen, und kann deshalb sehr viel Zeit und Energie in meine ehrenamtliche Arbeit stecken. Ich bin aktives Mitglied der deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Dort beteilige ich mich an der Meinungsbildung zur Bundespolitik und Gesetzesvorhaben, wie ganz aktuell das Selbstbestimmungsgesetz. Und berate trans Personen und deren Angehörige. Hier im Bezirk habe ich unter Anderem das Team Queer Treptow-Köpenick mit gegründet. Wir sind eine Gruppe von Einzelpersonen, Vereinen, Initiativen, der Kirche, Parteien und der Verwaltung. Wir machen das queere Leben im Bezirk sichtbar und wollen Anlaufstellen und Beratungs- und Bildungsangebote schaffen.
Ich habe gerade eine scheiß Angst, hier zu stehen. Weil ich mich in diesem Moment zur Zielscheibe der Nazis mache.
Letzte Woche auf der Kundgebung gegen die AfD, hat sich ein guter Freund hingestellt und eine Rede gehalten. Noch am Rande der Demo hat er dann eine Morddrohung erhalten. Die Gefahr ist also da und sehr real. Ich habe aber auch das Privileg, ein großes Netzwerk zu haben das mich schützt und auffängt. Für mich ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem ich für meine Rechte aufstehe und laut werde!
Ich! bin! hier!
Ich habe das Recht in Freiheit und Würde zu leben und ich werde dafür kämpfen. Ich lasse mich nicht mehr Einschüchtern!
Ich habe Angst. Ich habe jeden Tag Angst. Jeden Moment in dem ich draußen bin, habe ich Angst davor wieder das Ziel einer queerfeindlichen Attacke zu werden. Queerfeindlichkeit ist im Register das einzige Motiv, das in den letzten 3 Jahren stetig gestiegen ist. 2020 waren es noch 8 gemeldete Fälle, letztes Jahr schon 27. Und dieses Jahr waren wir Mitte September bei 38 Vorfällen. Und das allein hier im Bezirk. Das sind die offiziellen Zahlen. Das sind Vorfälle, bei denen sich jemand die Mühe gemacht und sie gemeldet hat. Die Dunkelziffer ist um ein vielfaches höher. Das die Zahlen steigen liegt nicht daran, das wir verstärkt auf das Thema achten und melden. Nein, der Ton ist wirklich rauer geworden. Als ich mich vor drei Jahren geoutet hatte, habe ich vielleicht einmal pro Woche einen transfeindlichen Kommentar abbekommen. Mittlerweile werde ich beinahe täglich Beleidigt oder ausgelacht. An einigen Tagen passiert mir das auch mehrmals.
Ich alleine könnte also fast jeden Tag einen Vorfall melden. Ich mache das aber leider nicht, weil ich den einzelnen Vorfällen nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken möchte, weil es mir persönlich nicht gut tut und es mich zusätzlich belastet.
So wie mir geht es sehr vielen hier im Bezirk. Und wir brauchen Unterstützung. Von der Polizei können wir leider nichts erwarten. Bis die sich bewegen, muss es schon richtig eskaliert sein und auch dann machen sie in der Regel mehr Probleme, als sie lösen. Und so lange die ihre interne Nazi-Seuche nicht in den Griff bekommen, traue ich denen nicht.
Am Ende bleibt uns nur noch die Zivilgesellschaft. Also ihr. Und schaut euch mal um. Ihr seid viele. Wenn ihr das nächste mal einen rassistischen, queerfeindlichen oder sonst irgendwie diskriminierenden Vorfall mitbekommt, macht bitte den Mund auf. Lasst das nicht so im Raum stehen und lasst uns nicht alleine.
Zeigt uns, das ihr da seid. Meldet den Vorfall zum Beispiel an das Register. Für uns sind die Ereignisse meistens zu Belastend, um sie später nochmal aufzurollen und zu melden. Und zeig den Arschlöchern, das deren menschenverachtende Aussagen und Taten hier nicht geduldet werden. Und, das Hass keine Meinung ist.
Wo das hinführt, wenn wir deren Aussagen so stehen lassen, sehen wir ja gerade, wenn wir uns die Gesellschaft anschauen. Und ich habe auch Angst vor der Zukunft. Letzte Woche kam bei einer Studie heraus, das mittlerweile 8% der Menschen in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilen. Plus etwa 20% mit einer starken Tendenz in diese Richtung. Und es werden noch mehr werden, wenn wir nicht endlich anfangen dagegen zu halten.
Die Politik wird uns da nicht helfen. Dort hält man es für eine gute Idee, die Themen der Faschisten zu übernehmen und ihnen damit viel zu viel Raum zu geben. An den Bereichen, die essentiell für die Demokratie sind, soziale Projekte und in der politischen Bildung wird jetzt gespart. Dabei brauchen wir mehr, statt weniger Angebote.
Im April wurde uns noch für jeden Bezirk die Stelle einer queerbeauftragten Person versprochen. Und zwar als Vollzeitstelle. Wenn ich jetzt mal Nachfrage, was damit ist, bekomme ich zu hören, das kein Geld da ist. Hier in Treptow Köpenick kann das ja die Gleichstellungsbeauftragte nebenbei übernehmen, es gibt aber keine zusätzlichen Mittel.
Das Selbstbestimmungsgesetz, wird seit Jahren verschleppt. Betroffenen wird nicht zugehört, aber den Schauermärchen der transfeindlichen Populist*innen wird wiedermal viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der aktuelle Entwurf ist voll von Misstrauen gegen uns. Es gibt sinnlose Wartefristen, um einem möglichen Missbrauch vorzubeugen. Es ist explizit erwähnt, dass das Hausrecht davon unberührt bleibt. Was an der aktuellen Situation nichts ändert, aber den Eindruck entstehen lässt, dass Diskriminierung nun über das Hausrecht erlaubt wird. Unsere Daten sollen automatisch an sehr viele Behörden, darunter die Bundespolizei, das BKA und den Verfassungsschutz, übermittelt werden. Ehrlich gesagt, frage mich nicht ob, sondern wann die ersten rosa Listen angefertigt und an die Nazis weitergegeben werden.
Das macht mir Angst und das sollte euch auch Angst machen. Noch betrifft es euch vielleicht nicht, aber die Geschichte lehrt uns, das es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr an der Reihe seid. Wir dürfen uns von dieser Angst nicht lähmen lassen. Wir müssen diese Angst als Warnung sehen und endlich anfangen etwas zu tun. Auch wenn ich aktuell wenig Vertrauen in die demokratischen Institutionen habe, müssen wir sie nutzen und mit allen Mitteln schützen. Demokratie fängt schon im kleinen, bei uns und den Menschen um uns herum an. Nur gemeinsam können wir etwas Verändern.Ich sage euch aber auch, es ist harte Arbeit und wird anstrengend.
Wir müssen anfangen Brücken zu bauen und wieder aufeinander zu zugehen. Schluss mit wir gegen die Anderen.
Wir müssen anfangen Gemeinsamkeiten, statt Unterschiede zu suchen. Und die Unterschiede feiern.
Wir müssen wieder einander zuhören.
Wir müssen lernen Widersprüche auszuhalten.
Wir müssen einander erlauben Fehler zu machen und uns dabei unterstützen, dazu zu lernen.
Wir müssen lernen Kritik auszuhalten und uns selbstkritisch hinterfragen.
Und vor Allem: Müssen wir gemeinsam und solidarisch für einander einstehen.
Danke