Predigt „Queere Andacht“ 30.04.2023
Die Predigt gibt es ab Minute: 1:58:40 in der 188 Ausgabe vom Hör doch mal zu Podcast zum Hören.
Embrace who you are
Als ich vor ein paar Wochen das Thema gesehen hatte, kam mir sehr schnell der Gedanke, dass ich dazu viel Beitragen kann und auch möchte.
Schnell kamen in mir dann aber wieder die Selbstzweifel auf. Ich hatte Gedanken, wie:
„Ich habe ja erst vor 4 Wochen angefangen meinen Weg zu G*tt zu finden. Ich habe noch fast keine Ahnung vom Glauben, der Bibel und Gottesdiensten. Wie kann ich mir dann anmaßen, eine Predigt halten zu wollen? Und außerdem stehe ich ja sowieso nicht gerne im Rampenlicht.“
Mir fehlte dann doch der Mut und das Selbstvertrauen.
Wie du nun aber siehst, stehe ich jetzt doch hier. Wie es dazu kam, ist ein schönes Beispiel für den heutigen Psalm
G*tt weidet mich, mir fehlt es an nichts. Ps 23,1 [BigS]
Mir fehlt es an nichts. Ich hatte nicht den Mut, mein Vorhaben umzusetzen. Ich wollte schon aufgeben. Dann hat G*tt mir wundervolle Menschen geschickt. Menschen, die mir die Kraft, die mir fehlte, gegeben haben. Dafür bin ich sehr dankbar.
Aber warum stehe ich jetzt hier und habe das Privileg an diesem heiligen Ort vor G*tt zu euch sprechen zu dürfen? Warum hat G*tt mir geholfen, dieses Ziel zu erreichen? Warum ich? Was macht mich so besonders?
Ich habe den heilige Prozess der Neuschöpfung auf eindrucksvolle Weise am eigenen Leib erlebt und auch erlitten.
Ich bin keine der trans Personen, die es schon ihr Leben lang wussten. Bei mir gab es diesen einen Moment, in dem G*tt mir offenbart hat, dass ich nicht der Mensch bin, der ich immer dachte zu sein. Dieser eine, wichtige Moment hat mir die Kraft gegeben, mich auf die Suche zu meinem wahren Ich zu begeben. Dieser Weg war nicht einfach. Hauptsächlich, weil ich sehr lange dagegen angekämpft habe.
Ich habe dagegen angekämpft, weil wir in dieser Gesellschaft, von Kindesbeinen an darauf dressiert werden in bestimmte Boxen zu passen und einfach zu funktionieren. Alle Menschen, die dort ausbrechen, werden verachtet, gedemütigt und verstoßen. Ich habe das geglaubt. Ich war ein Teil des Systems. Ich habe mich angepasst und dabei vergessen auf mich zu achten. Um das zu bemerken, habe ich den Impuls von G*tt gebraucht. Als ich mich auf den Weg zu mir gemacht habe, wollte ich, nein musste ich aus diesen Schubladen ausbrechen. Dafür habe ich mich verachtet und war voller Selbsthass. Ich habe mir selbst mehr seelisches Leid zugefügt, als jeder andere Mensch es jemals hätte tun können.
Wie wir gerade bei den rechten Evangelikalen in den USA und teilen Europas sehen, gibt es einige wenige, aber laute Gruppen die das Wort Gottes für diesen Zweck missbrauchen. Die sich die heiligen Texte so hinbiegen, wie es ihnen passt. Nur um eine Legitimation zu finden, Menschen die anders sind, die sich nicht anpassen, zu unterdrücken und verfolgen. Seien es People of Color, anders Gläubige, behinderte oder queere Menschen; oder selbstbewusste Frauen.
Dabei zeigt sich doch gerade in der Individualität der Menschen, wie kreativ G*tt ist. Und G*tt liebt jede einzelne ihrer Schöpfungen. Wenn in dieser Gesellschaft jede Individualität verurteilt wird und wir so am Ende alle angepasst und gleich sind, zerstören wir dann nicht das Werk Gottes?
Und wenn für diesen Akt der Zerstörung die Worte Gottes als Rechtfertigung hergenommen werden, spätestens dann sollten alle Christ*innen aufstehen und gegen dieses Unrecht ankämpfen! Das du heute hier bist, ist ein erster, wichtiger Schritt in Richtung einer vielfältigen und gerechten Welt.
Jetzt, wo G*tt mir mein Herz geöffnet hat, fange ich langsam an das Wunder auch als solches zu erkennen und anzunehmen. Ich kann nun zu mir stehen und mich als den Menschen, der ich bin, lieben. Genauso, wie G*tt es tut.
Nicht jede Neuschöpfung muss so groß und weitreichend sein. Viele Punkte in unserem Leben, an denen wir das Alte hinter uns lassen und Platz für etwas Neues machen, sind sehr schön und werden gebührlich gefeiert, wie zum Beispiel die Konfirmation, wenn wir die Kindheit hinter uns lassen und in das Erwachsenenleben eintreten; oder die Hochzeit, wenn wir uns mit einem anderen Menschen verbinden und die neuen Wege gemeinsam gehen.
Die meisten Veränderungen gehen aber fast unbemerkt an uns vorbei, weil sie klein sind und wir sie nicht sehen.
Jeden Morgen erwachen wir zu neuem Leben. Jeden Morgen sind wir ein neuer Mensch.
Wenn ich dich frage: „Wie hast du dich von gestern zu heute verändert?“ Dann wirst du mir wahrscheinlich nichts sagen können.
Wenn ich dich frage: „Wie hast du dich seit letzter Woche verändert?“ Dann wird dir vielleicht schon etwas kleines auffallen, wenn du genau hinschaust.
Wenn ich dich aber frage: „Wie hast du dich in den letzten 5 oder sogar 10 Jahren verändert?“ Dann wirst du sicherlich mit Leichtigkeit sehr viel erkennen können. Und bei vielen Dingen kannst du auch nicht den einen Moment, an dem du dich verändert hast, benennen. Es sind die vielen kleinen Dinge, die uns jeden Tag verändern und uns zu dem wundervollen Menschen machen, der wir sind.
Genauso wie die wundervollen Menschen, die mir den Zuspruch gegeben haben, der mir gefehlt hat, können wir alle schon mit kleinen Gesten etwas großes bewirken. Ein Lächeln, oder ein Danke, das von Herzen kommt, kann für unsere Nächsten einen Unterschied machen.
Deshalb möchte ich jetzt hier von ganzem Herzen Danke sagen. Danke, das du heute hier bist.