Predigt zu Ps 147,3 - 20.10.2024

2024-10-20 Sarah

Predigt zu Psalm 147,3

Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.

Ein gebrochenes Herz, das kennen wir alle. Das erste was einem da in den Sinn kommt, klar: Liebeskummer. Aber auch ein Jobverlust oder dabei zuschauen, wie eine andere Person verletzt wird, kann uns im Herzen, an der Seele wehtun und Wunden hinterlassen. Den Schmerz, die Trauer, das kennen wir, leider, nur zu gut. In diesen Momenten der Trauer, ist es schwierig, bis unmöglich die richtigen Worte zu finden, um zu trösten und Trost zu finden. Meistens bleibt uns ersteinmal nichts anderes übrig, als die Gefühle da sein zu lassen und auszuhalten. Und wir können uns darauf verlassen, dass Gott immer an unserer Seite ist und uns tröstet.

Ich würde den Blick gerne auf das Lenken, dass nach der Trauer kommt. Die Heilung. Heilung ist ein langer und manchmal auch schmerzhafter Prozess. Aber es gibt uns auch die Chance, daran zu wachsen uns weiter zu entwickeln, stärker zu werden. Wenn ich beim Sport über den Muskelkater geklagt habe, hatte meine Trainerin immer mit “Schmerz heißt Veränderung. Und du willst doch, das sich was verändert, oder?” geantwortet. Nicht nur auf die Muskeln, die wachsen, sondern auch auf unser Leben übertragen, hat dieser Spruch sehr viel wahres. Die schmerzhaften Erlebnisse sorgen dafür, dass wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern dass wir uns bewegen und vorankommen. Wenn wir unseren Job verlieren, werden wir dazu gezwungen uns etwas neues zu suchen. Im besten Fall etwas, dass viel mehr zu uns passt und unseren Fähigkeiten entspricht. Die Trennung von meiner Ex-Frau, nach 17 Jahren Beziehung, hat mir sehr weh getan und ich habe auch lange gebraucht, den Schmerz zu überwinden. Es hat mir aber auch die Möglichkeit gegeben, einen neuen wundervollen Menschen an meiner Seite zu haben und mich neu zu verlieben. Die Liebe und das Verliebtsein, hat meinen Schmerz um ein Hundertfaches wieder wettgemacht.

Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.

Halt! Stopp. Kein Amen. Das war eine ziemlich erwartbare Predigt. Empathisch sein, das Publikum abholen und wenn keine Lösung in sicht ist, ablenken. Einen Perspektivwechsel anbieten und am Ende wird alles gut. Wer’s glaubt wird seelig. In der Kirche habe ich viel zu häufig das Gefühl, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und Gott das schon regeln wird. Das Leben ist aber nicht immer gut. Und es wird auch nicht alles Gut. Und manchmal reicht Gott nicht aus. Was kein Zeichen für einen schwachen Glauben, oder dafür, dass Gott dich bestraft, ist. Lass dir nichts einreden.

Es gibt Verletzungen, die nicht mehr geheilt werden können. Ganz plastisch, wenn ein Bein so schwer verletzt ist, dass es amputiert werden muss, ist es weg. Es wächst nicht nach. Auch an unserer Seele gibt es Wunden, die so tief sind, dass sie nicht mehr richtig heilen.

Das griechische Wort für Wunde lautet Trauma.

Wenn wir einmal so schwer Verletzt und traumatisiert sind, können wir nur noch lernen, damit umzugehen. Den Schmerz zu verdrängen, und versuchen ein halbwegs normales Leben zu führen. Bis wir wieder in einer Situation landen, die die Wunde aufreißt. Das kann alles sein, ein Wort, ein Bild, ein Geruch. Ein echter Trigger, nicht das, wie das Wort mittlerweile inflationär benutzt wird.

Traumata entstehen unter anderem durch extreme Ereignisse, die wir miterlebt haben. Zum Beispiel ein Unfall, Krieg oder schwere Krankheit. Große Traumata können aber auch durch andauernde regelmäßige kleinere Verletzungen, die wir erleiden entstehen. Psychische Gewalt kann schwere seelische Schäden hinterlassen. Gerade Menschen, die einer Minderheit angehören, die tag täglich der Diskriminierung ausgesetzt sind, haben ein hohes Risiko unheilbare seelische Verletzungen zu erleiden. Nicht nur irgendwelche Menschen, WIR, haben ein hohes Risiko.

Unsere Seelen sind fragil und Gott kann uns nicht vor allem schützen.

Traumata sind da und real. Sie sind kein zeichen von Schwäche, oder Faulheit, wenn wir morgens nicht aus dem Bett kommen. Dann Gott ist da. Wir können uns festhalten, Trost suchen und neue Kraft tanken.

Traumata können dafür sorgen, dass unser Leben so schwer wird, dass wir jegliche Lebenslust verlieren. Dann ist Gott da. Spätestens dann braucht Gott aber auch Unterstützung, um uns zu helfen. Da ist dann auch die Seelsorge, Therapeut*innen und im Notfall auch ein Krankenwagen für uns da. Wir müssen nur drüber reden und uns Hilfe holen.

Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.

Meistens, aber nicht immer. Und das kann und soll hier auch gesagt werden.

Amen.

Predigt zu Gal 3,26-29 - 22.09.2024

2024-09-22 Sarah

Predigt zu Gal 3,26-29 - 22.09.2024

Galatien war nur der Anfang

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind… Dann gibt es Streit. Gerade, wenn es um emotionale Themen, wie unseren Glauben geht, kann es schnell zu verhärteten Fronten kommen. Dazu müssen wir nur einen Blick in die Geschichte des Christentums werfen. Es gab unzählige Konzilien und Synoden, in denen Konflikte meist friedlich gelöst werden konnten. Manchmal waren die Unterschiede aber auch so groß, dass die Kirche sich gespalten hat. Und manchmal waren die Fronten so verhärtet, dass es auch zu Kriegen geführt hat.

Die Gemeinde in Galatien ist auch nicht zur Ruhe gekommen. Auch dort gab es einen erbitterten Streit. Auf der einen Seite diejenigen, die sagen, dass die Beschneidung notwendig ist, um den Bund mit Gott zu schließen. Und, dass alle 613 Gebote befolgt werden müssen. Auf der anderen Seite diejenigen, die der Meinung sind, dass die Taufe ausreicht.

Die Gemeinde wendet sich an Paulus, um eine Lösung zu finden. Der wiederum ist ziemlich ungehalten darüber, dass die Gemeinde es nicht aus eigenen Kräften schafft, diesen Konflikt zu befrieden.

Der Glaube verbindet uns

Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Durch den Glauben, sind wir Kinder Gottes, sind wir eine große Familie, gehören wir dazu. Sola fide - einer der reformatorischen Grundsätze. Allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke. Nicht was wir tun, was wir erreichen, oder was wir verdienen, ist wichtig. Allein unser Glaube lässt uns Teil dieser Gemeinschaft sein.

Das griechische Wort “pistis”, das Paulus für den Glauben nutzt, bedeutet auch Vertrauen. Unser Glaube ist kein “Ich glaub schon, dass es einen Gott geben könnte”. Er ist ein “Ich vertraue darauf, dass es Gott gibt und ich Vertraue Gott”

Einfach mal Fallen lassen

Lasst uns ein kleines Gedankenexperiment machen, um den Unterschied zu sehen. Ich denke, wir können uns hier alle darauf einigen, das Fallschirme ein Wunderwerk der Technik sind. Dass sie schon ziemlich sicher sind und Menschen sanft durch die Lüfte tragen können. Wenn wir nun aber in 4000m Höhe an der offenen Flugzeugtür stehen, dann zeigt sich, ob wir nur daran Glauben, oder ob wir dem Fallschirm auch vertrauen können. Können wir uns fallen lassen, uns tragen lassen?

Durch unseren Glauben können wir in Konflikten unser Herz öffnen. Denn wir können darauf vertrauen, dass Gott uns den richtigen Weg weisen wird. Wir können unserem Gegenüber mit Respekt und mit Nächstenliebe begegnen und darauf vertrauen, dass er es genauso machen wird.

Kleider machen Leute

Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Mit unserer Taufe haben wir Christus angezogen, wir sind nun in ihm und mit ihm. Wir sind ein Teil der Gemeinschaft. Ein Glied in seinem Leib.

Wir haben Christus angezogen. Da steckt auch wieder eine Metapher, die wir heutzutage nicht mehr deuten können, aber die Galater sehr wohl verstanden haben.

Im alten Rom war es üblich, dass Kinder eine kindliche Toga getragen haben. Die Toga Praetexta. Wenn die Kinder alt genug waren und in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden, wurde ihnen eine neue Toga, die Toga Virilis, als Zeichen ihrer Mündigkeit überreicht. Die Tora, also das Alte Testament, und Jesus haben uns die Grundlagen und die Ethik gelehrt. Mit der Taufe sind wir zu mündigen Gläubigen ernannt worden. Wir dürfen, ja wir sollen sogar Dinge hinterfragen und Veränderungen anstoßen, wenn wir etwas für falsch halten.

An dieser Stelle ein kleiner Einschub: Bei der Aussage von Paulus, der die Juden indirekt als unmündig bezeichnet, schwingt eine Judenfeindlichkeit mit, der ich hier einmal ganz deutlich widersprechen muss. Es ist im Judentum seit jeher üblich, dass die Auslegung der Texte hinterfragt und angepasst wird. Es ist in der jüdischen Kultur tiefer verankert, als es das im Christentum jemals war.

Was Paulus aber sagt, ist trotzdem nicht weniger wichtig. Wir brauchen in unserer Gemeinde eine Kultur, in der wir, wie Erwachsene, miteinander streiten können. Friedlich, mit Worten und Argumenten. Immer auf der Suche nach einer Lösung. Wenn sich kein Kompromiss anbietet, die Unterschiede auch da sein zu lassen und es auszuhalten.

Kategorie Mensch

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Ethnie, sozialer Status, Geschlecht, all das sind weltliche Kategorien, die bei Gott nichts zählen. Paulus hat die Kategorien aber nicht abgeschafft. Aus einer weltlichen Perspektive gibt es diese Unterscheidungen weiterhin. Und es ist wichtig, dass wir die Unterschiede benennen. Denn nur so können wir Diskriminierungen sichtbar machen und auf der Seite der Schwachen dagegen ankämpfen.

Gott diskriminiert nicht. Im Glauben sind wir alle gleich. Und auch in unserer Gemeinschaft gehören ganz selbstverständlich alle dazu. Sollten sie zumindest. Da wo es nicht so ist, müssen wir dafür streiten.

We are Family

Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben. In Christus sind wir eins. Viele verschiedene und ganz individuelle Glieder, in einem Leib. Allein durch unseren Glauben, gehören wir dazu, sind wir Teil einer riesigen Familie und somit auch Erben Gottes.

Der Wochenspruch Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. fasst es nochmal gut zusammen.

Unser Glaube hilft uns, alle weltlichen Differenzen zu überwinden. Und wir können sehen, dass es funktioniert. Ob im Großen, wenn wir zum Beispiel in die Ökumene schauen, wo die verschiedenen Konfessionen es langsam schaffen, sich wieder anzunähern. Oder auch im Kleinen, bei uns. Wenn wir uns darüber streiten, ob auf unserem Altar eine Tischdecke gehört, oder wir auf Gemeindefesten Alkohol ausschenken.

Ich bin Sarah. Ich glaube an Gott. Oder besser: ich vertraue auf Gott. Ich bin Teil der weltweiten christlichen Gemeinschaft. Und ich bin stolz darauf, ein Teil dieser, unserer Kirchengemeinde hier in Adlershof zu sein. Einer Gemeinde, die diskriminierendes Verhalten nicht toleriert. Die Konflikte nicht scheut und es immer wieder aus eigener Kraft heraus schafft, Lösungen zu finden.

Amen.

ReclaimYourKiez - 07.09.2024

2024-09-07 Sarah

Einleitung

Hallo liebe Antifaschist*innen!

Ich bin Sarah, und seit mehreren Jahren queerpolitisch und feministisch in Berlin und ganz besonders hier in unserem schönen Treptow Köpenick aktiv.

Letztes Jahr durfte ich schon mal hier vorne stehen und euch eine queere Perspektive aus dem Bezirk geben. Damals habe ich euch erzählt, wie die Angst mein ständiger Begleiter geworden ist. Die Angst ist geblieben. Es ist aber eine gewaltige Frustration hinzugekommen.

Politisch aktiv zu sein, heißt immer wieder hautnah mit zu erleben, was für tolle Reden die Politiker*innen schwingen. Das wir queeren Menschen ihnen doch so wichtig sein. Um dann im nächsten Moment hinter verschlossenen Türen zu sehen, wie sehr sie den Populisten auf den Leim gehen und auf uns scheißen.

Aktionsplan

Letztes Jahr haben wir dafür gekämpft, dass wir eine queerbeauftrage Person im Bezirk bekommen. Es gab immer wieder Ausreden, warum das nicht geht. Am Ende gab es einen faulen Kompromiss. Das Bezirksamt arbeitet einen queeren Aktionsplan aus. Ein wunderschönes Dokument mit ganz vielen wirklich tollen Ideen und Ansätzen um das queere Leben in unserem Bezirk zu fördern. Es ist aber nur ein wertloses Stück Papier, das in irgendeinem Aktenschrank verschwindet, wenn niemand für die Umsetzung verantwortlich ist. Es ist einfach nur noch frustrierend. Es ist ein langer harter Kampf, aber wir geben nicht auf. Wir fordern die BVV weiterhin auf, dafür zu sorgen, dass es eine queerbeauftragte Person im Bezirksamt gibt.

SBGG

Wir haben in den letzten Jahren auch dafür gekämpft ein Selbstbestimmungsgesetz zu bekommen, dass den Namen verdient. Aber auch hier ist wieder deutlich die Handschrift der Populisten zu erkennen. Zum Beispiel werden Asylsuchende in dem Gesetz systematisch diskriminiert. Es gibt immer noch sinnlose Wartezeiten. Und es wird uns unterstellt, das Gesetz zu missbrauchen, um eine mögliche Wehrpflicht zu umgehen.

Aber das reicht den Populisten nicht. Nun sind die Standesämter dran und lassen ihrer Willkür freien lauf. Teilweise gibt es Namenslisten für nicht-binäre Personen. Einige Standesämter begrenzen die Zahl der Vornamen. Die Liste an Ideen, uns das Leben schwer zu machen ist scheinbar unendlich lang.

Wir sehen hier ziemlich gut, dass die Faschisten bereits in den Ämtern sitzen. Sie diskriminieren uns weiterhin und legen uns Steine in den Weg. Uns bleibt nur das diskriminierende Verhalten weg zu klagen. Das kostet Zeit und Geld. Es ist einfach nur noch frustrierend.

Populismus

Die Faschisten sitzen nicht nur in den Ämtern. Sie sitzen auch in der Politik. Und sie sind mächtig. Sie werden immer stärker. Bei den letzten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben knapp ¾ eine Partei gewählt, die eine*n Populist*in in der Spitzenreihe hat. Und ja, ich zähle auch die CDU mit. Friedrich Merz ist ein Populist, der Hass und Hetze verbreitet und unsere Gesellschaft spaltet.

Für unsere Nachbarn in Brandenburg sieht es nicht besser aus. Laut Umfragen werden dort übernächste Woche knapp ⅔ eine populistische Partei wählen.

Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen und mit dem Finger auf die anderen Bundesländer zeigen.

In Berlin sieht es auch nicht viel besser aus. In der letzten Europawahl hat knapp die Hälfte der Wählenden in Treptow Köpenick ihre Stimme an populistische Parteien verschenkt. Wir dürfen den Faschisten nicht das Feld überlassen. Support your local Antifa!

Und wir müssen dringend die Antifas auf dem Land in Brandenburg, Sachsen und Thüringen unterstützen! Wir müssen den Druck weiter erhöhen und endlich die scheiß AfD verbieten. Keinen Fuß breit den Faschisten.

CSD

Wir müssen endlich aus der Geschichte lernen. Denn es fängt wieder an bzw. wir sind schon mitten drin.

Auf dem CSD in Berlin haben Nazis versucht zu stören. Zum Glück sind Nazis dumm und haben sich Uniformiert. Sie konnten rechtzeitig entfernt und so schlimmeres verhindert werden.

Wir in Berlin sind hier noch recht privilegiert. Auf dem Land, zum Beispiel in Bautzen sieht die Situation schon jetzt ganz anders aus. Die Cops haben einen Nazi-Aufmarsch direkt hinter dem CSD laufen lassen. Nazis durften auch nah am Rand der Demo stehen und queere Menschen fleißig beleidigen. Die Cops haben sie einfach machen lassen. Am Ende der Veranstaltung mussten queere Menschen, die nur für ihre Rechte, für ihre Existenz demonstriert haben, von den Cops zum Bahnhof eskortiert werden, um heil nach Hause zu kommen.

Abschluss

Liebe Antifaschist*innen, das klingt wie eine Dystopie, aber sie ist in einigen Städten schon jetzt Realität. Wenn wir nicht aufpassen, droht uns genau das, genau hier.

Ich finde es äußerst frustrierend, das mit ansehen zu müssen. Nur gemeinsam können wir etwas verändern. Lasst uns gemeinsam füreinander einstehen.

Alerta Alerta - Antifascista Alerta Alerta - Antifascista Alerta Alerta - Antifascista

Ihr seid der Hammer! Danke!

Predigt zu Gen 12,1–4a - 30.06.2024

2024-06-30 Sarah

Predigt zu Gen 12,1–4a

Mit Gott neue Wege gehen. Wie sehr habe ich mich darüber gefreut, dass am heutigen Sonntag genau dieses Thema auf der Tagesordnung steht. Ist es doch ein Thema, mit dem ich mich seit langer Zeit intensiv auseinander setze. Wie schön, dass ich etwas zu dem Thema sagen darf.

Voller Elan habe ich mich an diese Predigt gesetzt. Aber die Ernüchterung hat leider nicht lange auf sich warten lassen. Ja, ich habe viel auf meinem Weg in den letzten Jahren gelernt. Und ich habe viele Schlüsse daraus ziehen können. Dabei ging es aber immer um mich und meinen ganz eigenen Weg. Dein Weg ist aber ein anderer. Dein Weg ist so individuell, wie du es bist, und du stehst gerade an einem ganz anderen Punkt, den ich nicht mal kenne. Wie kann ich mir dann anmaßen, schlaue Ratschläge zu verteilen? In Einzelgesprächen mag das ja vielleicht noch funktionieren, aber hier vor so vielen verschiedenen Menschen. Jeder und jede einzelne hier hat einen ganz eigenen Weg vor und auch schon hinter sich.

Vielleicht ist das ein ziemlich hoher Anspruch, den ich an mich stelle, wenn ich versuche, etwas zu finden, das auf alle gleichermaßen passt. Wenn ich mit dieser Predigt alle Menschen da abholen will, wo sie gerade stehen.

Vielleicht stecken, aber genau in den Schwierigkeiten, die ich beim Schreiben hatte, schon ein paar wichtige Erkenntnisse.

Zum einen, und das ist wahrscheinlich die schlechte Nachricht, dieser Predigt. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Es gibt nicht den einen Tipp, der dir zu einem glücklicheren, besseren, zufriedeneren Leben verhilft.

Zum Anderen habe ich die Schwierigkeiten nur, weil ich es wieder mal allen recht machen möchte. Ich stelle viel zu hohe, ja teils unerfüllbare Ansprüche an mich selbst und stehe mir damit selbst im Weg.

Ich könnte jetzt natürlich alles hinschmeißen. Dann soll doch jemand anderes die Andacht halten. Ich könnte auch einfach eine vorgefertigte Lesepredigt nehmen und vortragen. Dann würde ich aber eine großartige Chance verpassen. Ich darf, und das ist ein großes Privileg, hier stehen und ich werde gesehen - wohlgemerkt, gesehen und nicht einfach nur angestarrt.

Ich darf lernen. Das ist erst meine 5. Predigt, die ich halten darf und ja, ich habe noch viel zu lernen. Aber nur wenn ich mich traue auch Fehler zu machen, kann ich daran wachsen.

Und der wahrscheinlich wichtigste Grund, warum ich gerne hier vorne stehe: Ich habe die Chance, Menschen zu erreichen und etwas zu verändern. Wenn nur eine einzige Person hier heute raus geht und nur einen Satz behält, der etwas in ihr bewirkt, dann habe ich etwas Großartiges erreichen können. Das ist etwas, was mich antreibt. Was mich motiviert, trotz aller Schwierigkeiten und bedenken, etwas zu tun. Ich mag es, wenn ich Menschen berühren, sie inspirieren oder auch motivieren kann. Was treibt dich an? Was ist es, das dich motiviert? Das dein Herz mit Freude erfüllt?

Um einen neuen Weg zu gehen, muss ich ja erstmal wissen, was dieser neue Weg ist. Die erste Frage lautet also: “Wie finde ich den Weg?” oder “Woher weiß ich, was Gott von mir will”.

Letztes Jahr, im Sommer, bin ich mit genau dieser Fragestellung für eine Woche ins Kloster gegangen und habe mich auf die Suche nach Gott begeben. Und ich habe Gott gefunden. Na ja, zumindest bin ich ihm recht nah gekommen. Nicht im Außen, sondern in mir, in meinem Herzen. Ich bin davon überzeugt, dass Gott uns unseren Weg weist, wenn es an der Zeit ist. So, wie es auch im Predigttext steht

“Und Gott sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.”

Nur dass Gott nicht plötzlich vor unserer Tür steht: “Guten Tag, ich bin Gott. Ich möchte gerne, dass du dieses oder jenes für mich tust.”

Gott kommuniziert mit uns über unser Herz, über unsere Gefühle und Gedanken. Wir müssen uns nur - und das klingt jetzt leichter, als es ist. Wir müssen uns nur dafür öffnen und uns darauf einlassen. Ganz im Sinne der Jahreslosung handeln. “Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe”.

Wenn also im Predigttext steht “Und Gott sprach zu Abram: Geh in ein Land, das ich dir zeigen will.”, dann ist das in meiner Vorstellung eine Umschreibung, dafür, dass Abram eine gewisse Sehnsucht nach der Ferne gepackt hat. Wahrscheinlich hat er das im ersten Moment auch als verrückte Schnapsidee abgetan. Und wahrscheinlich wird er in seinem Umfeld dafür auch viel Hohn und Spott geerntet haben. Aber am Ende ist er seinem Herzen, ist er Gott gefolgt. Er hat sich, entgegen jeder Vernunft, auf die Reise gemacht.

Unseres Vaters Hause, wie es in der Bibel so schön beschrieben ist, haben wir alle schon mal verlassen. Damals, als wir jung waren und von zu Hause ausgezogen sind. Abram war zu dem Zeitpunkt, als er ausgezogen war, aber schon 75 Jahre alt. Der Text zeigt uns auch, dass es nie zu spät ist, etwas zu verändern. Wir können jeder Zeit umkehren und uns dazu entscheiden, unserem Herzen zu folgen.

Umkehren heißt nicht etwa eine 180° Wende zu machen. Umkehren bedeutet, dass wir einen anderen Weg einschlagen. Dass wir uns trauen und vertrauen, die alten Wege zu verlassen und neue unbekannte Pfade zu gehen.

Neue Wege gehen, birgt auch immer das Risiko, dass wir uns verlaufen. Wir sind Menschen, wir machen Fehler. Und auch Scheitern ist immer eine Option. Wir können auf halbem Wege für uns feststellen, dass dieser Weg nicht der richtige war. Wir können jeder Zeit einen anderen Weg wählen. Und auch dann war es nicht umsonst. Denn ganz egal, welchen Weg du wählst und, wie weit du ihn gehst, mit jedem Schritt, den du machst, sammelst du wertvolle neue Erfahrungen. Erfahrungen, die dir helfen können deinen Weg zu finden. Und bei all dem können wir uns immer gewiss sein, dass Gott an unserer Seite ist und uns hält.

Zum Schluss möchte ich noch einen kurzen Satz mit dir teilen, der mir auf meiner Reise begegnet ist. Ein Satz, der mir immer dann hilft, wenn mein Herz mich in eine Richtung zieht, und mein Kopf voll mit Zweifeln und Ängsten ist. Thomas Quartier hat in seinem Buch “Bleiben - Umarmen, was man sich nicht ausgesucht hat” diesen schönen Satz formuliert:

“Es ist Sünde sich selbst im Weg zu stehen”

In diesem Sinne, Lasst uns auf Gott und unsere Wege vertrauen. Lasst uns Fehler machen und daraus lernen. Und lasst uns gesegnet und ein Segen sein. Amen.

Predigt zum Muttertag - 12.05.2024

2024-05-12 Sarah

Predigt zu Maria, am Muttertag

Ich hatte es in der Begrüßung schon angekündigt, wir wollen heute auch Maria, die heilige Maria, Mutter Gottes, denken.

Hier bei uns, in der evangelischen Kirche spielt Maria nur noch eine untergeordnete Rolle. Was ich sehr schade finde, da ich davon überzeugt bin, dass sie für unseren christlichen Glauben eine sehr wichtige Rolle spielt.

Das wir, Protestanten, Maria fast vergessen haben, liegt zum einen daran, das wir davon ausgehen, das jeder Mensch eine direkte Verbindung zu Gott hat. Wir müssen keine Heiligen anrufen, damit sie unsere Bitten vor Gott bringen.

Zum Anderen, lautet einer der reformatorischen Grundsätze “Solus Christus”. Das Heil ist allein durch Jesus Christus zu den Menschen gekommen. Maria ist komplett hinter ihrem Sohn verschwunden

Bei unseren katholischen Geschwistern, sieht es dagegen ganz anders aus. Es gibt viele Festtage, Lieder und Gebete nur zu ihren ehren. Sogar der schönste Monat des Jahres, der Mai, ist ihr gewidmet.

Was ist also so faszinierend an ihr? Oder vielleicht etwas persönlicher: was finde ich so faszinieren an ihr.

Zunächst einmal, hat es ganz praktische Gründe. Unser Glaube, unser Gottesbild ist sehr männlich geprägt - Der Herr, der Vater, der Sohn. Ich, persönlich, finde es sehr gut, dass es wieder in unser Bewusstsein rückt, das Gott über den Geschlechtern steht, und auch eine weibliche Seite hat. Das war schon im Alten Testament bekannt. Im alt-hebräischen haben die Worte “Barmherzigkeit” und “Gebärmutter” den selben Wortstamm. Die Barmherzigkeit ist also etwas zutiefst weibliches.

Du hast es vielleicht bemerkt, ich habe im Votum, Gott auch als Mutter bezeichnet. Aber, ich muss es mir jedes mal bewusst machen, was ziemlich anstrengend ist. Und spätestens beim Wort Gott, grammatikalisch maskulinum, bin ich wieder beim er und habe ein eher männliches Bild - Aber das mit dem Gendern ist ein Thema für einander mal.

Maria, als Frau und Mutter, schafft für mich einen Gegenpol zu all der Maskulinität. Mit Maria fühle ich mich, mit meiner Weiblichkeit, im Glauben repräsentiert.

Es gibt viele außergewöhnliche Frauen in der Bibel, auch abseits der bekannten Stellen. Debora, die erste Richterin; Judith, die Holofernes überwältigt hat; oder Rut und Noomi, die es geschafft haben sich in einer patriarchalen Welt zu behaupten.

Oder, ich schaue, in der katholischen Tradition, bei den Heiligen. Da gibt es zum Beispiel Johanna von Orleon, auch als Jean d’Arc bekannt; Hildegard von Bingen, die sich schon im Mittelalter für die Würde der Frauen eingesetzt hat; oder noch gar nicht so lange her, Edith Stein, die sich für den jüdisch christlichen Dialog stark gemacht hat. Die Liste außergewöhnlicher Frauen ist schier endlos.

Aber etwas hat Maria, das die anderen nicht haben. Ohne Maria, wäre das Christentum, so wie wir es heute kennen nicht möglich gewesen, hätte es Jesus nicht gegeben.

Eigentlich hätte Gott auch einfach einen Lehmklumpen nehmen und Jesus daraus formen können. Bei Adam, hat er es auch so gemacht. Dann hätte Jesus aber etwas entscheidendes gefehlt, ein Mutter.

Eine Mutter zu haben, ist etwas, das uns alle verbindet. Wir alle haben eine Mutter, ob wir kontakt zu ihr haben, oder nicht; ob sie noch lebt, oder schon verstorben ist. Wir alle haben eine Mutter, die uns 9 Monate lang wohl behütet in ihrem Bauch getragen hat. Die für uns die Mühen der Schwangerschaft und die Schmerzen bei der Geburt auf sich genommen hat. All die Opfer, nur für uns ganz persönlich, um uns unser Leben zu schenken. Das ist etwas, das Gott alleine nicht leisten kann.

Und auch für seinen Sohn, braucht Gott eine Mutter. Er braucht eine menschliche Frau, die bereit ist an seinem Werk mitzuwirken. Ohne Maria, und ihre Bereitschaft, Gott zu helfen, wäre die Menschwerdung nicht möglich gewesen. Hätte es das Zusammenspiel zwischen Gott und den Menschen nicht gegeben, hätte es die Erlösung nicht gegeben.

Obwohl Maria eine so wichtige Rolle spielt, erfahren wir in der Bibel nicht viel über sie.

Lange Zeit verkörperte Maria, das Bild einer unterwürfigen Frau, die sich um die Kinder und den Haushalt kümmert, und ansonsten leise ist und bloß nicht stört. Vielleicht erinnerst du dich noch an die Szene im Lukas Evangelium, als ein Engel zu Maria gekommen ist und ihr verkündet hat, dass sie ein Kind empfangen wird. Am Ende hat sie mit

Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast (Lk1,38),

geantwortet. Zugegebener Maßen, klingt das nicht sehr emanzipiert und wurde sehr lange Genutzt, um Frauen zu unterdrücken. Dabei wird leider der Teil davor aus dem Blick verloren. Maria sagt nicht sofort ja, als der Engel kommt. Sie fragt interessiert nach. Sie möchte verstehen wie und was passiert, bevor sie eine Entscheidung trifft.

Selbst, kommt Maria nur im Magnificat zu Wort. Wir haben es gerade in der Lesung, in einer musikalischen Interpretation von unserer Kantorei, gehört. Das Magnificat ist ein Lobgesang auf Gott, der Marias Frömmigkeit und Freude über die Schwangerschaft unterstreicht. Ich finde es bemerkenswert, dass Es auch kritische Verse enthällt.

Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. (Lk 1,52-53)

Maria übt hier Gesellschaftskritik. Ganz direkt und offen.

In meinen Augen, ist Maria eine fromme, intelligente, emanzipierte Frau, die Ungerechtigkeiten nicht einfach so hin nimmt, sondern laut wird und dagegen ankämpft. Und sie ist eine Mutter, die sich liebevoll um ihren Sohn gekümmert hat. Kurz um, für mich hat sie Vorbildcharakter.

Und für Gott, war sie die ideale Mutter, für seinen Sohn. Eine Frau, mit den richtigen Eigenschaften, um Jesus einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.

Wie ist das bei dir? Was macht deine Mutter so besonders? Welche Eigenschaften bringt sie mit, um dir eine gute Mutter zu sein?

Wenn du heute Nachmittag bei deiner Mutter, vielleicht auf ein Stück Käsekuchen, eingeladen bist, oder ihr miteinander telefoniert, oder du ihr Grab besuchen gehst, denk an all die Opfer, die sie nur für dich gebracht hat. Oder vielleicht auch noch bringt, und sag einfach mal Danke.

Amen.

Predigt „Queerche“ 22.02.2024

2024-02-23 Sarah

CN Kink

(Nächsten)Liebe queer gelesen

BDSM, Sadistmus, Masochismus, diese scheinbare Gewalttätigkeit, ist wohl das Letzte, an das man denkt, wenn es um Liebe geht. Dabei hat es sehr viel miteinander zu tun. Deshalb möchte ich dir eine kurze, persönliche Geschichte erzählen. Vielleicht kennst du ja das ein oder andere Gefühl, oder den ein oder anderen Gedanken auch aus deinem Leben.

Ich stehe in einem kleinen Raum. Vor mir ist eine Tür und daneben steht ein kleines Bänkchen. Ich ziehe mich aus und lege meine Kleidung auf dem Bänkchen ab und mit ihr meinen Alltag, den ich jetzt einfach draußen lasse. Dann öffne ich die Tür. Vor mir ist ein großer Raum. In der Mitte liegt eine große Matte, darüber hängt ein Bambusrohr von der Decke. Um die Matte herum stehen viele Kerzen, die den Raum in ein angenehmes warmes Licht tauchen. Aus der einen Ecke kommt leise Entspannungsmusik, es riecht angenehm nach Vanille und Nelken. Ich gehe in den Raum und setze mich in der Mitte auf die Matte unter den Bambus. Und ich Atme -… ganz langsam. Ich komme an, ich bin im hier und jetzt. Ich darf einfach sein.

Als ich ganz entspannt bin, kommt sie herein. Sie setzt sich mir gegenüber und schaut mich an. Wir kennen uns schon ewig und es ist, als wenn sie direkt in mein Herz schauen kann. Dann hält sie mir fragend eine Augenbinde entgegen. Ich nicke. Sie setzt sich hinter mich und legt mir die Augenbinde an. Dann nimmt sie mich in den Arm und wir Atmen gemeinsam. Ich merke, wie ich mich immer weiter fallen lassen kann, weil ich weiß und spüre, dass ich gehalten werde. Ich spüre die Liebe zwischen uns. Während wir so sitzen, es ist fast so, als wenn sich unser Herzschlag synchronisiert und wir ineinander verschmelzen. Ich könnte ewig in dieser Liebe baden.

Plötzlich setzt sie mich aufrecht hin, rückt ein kleines Stück weg von mir, legt mir meine Hände auf den Rücken und bindet sie zusammen. Dann geht sie weiter und fesselt meinen Oberkörper, mal schnell mal langsam - in ihrem Tempo aber immer mit viel Gefühl. Ich spüre, wie das Seil über meine Haut gleitet. Ich kann hören wie das Seil arbeitet und die Enden immer wieder auf den Boden fallen. Der Geruch des Juteseiles steigt mir in die Nase. Auf der einen Seite gibt mir das Seil ein Gefühl von Hilflosigkeit und das macht mir etwas Angst. Auf der Anderen Seite aber, gibt es mir Halt. Es ist wie eine feste Umarmung in die ich mich weiter fallen lassen kann. Sie hat nun alle Macht über mich und ich vertraue ihr.

Dann legt sie das Seil über den Bambus und zieht mich mit Schwung nach oben, so dass ich jetzt stehe, aufrecht, mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Jetzt zieht sie mich ganz langsam immer weiter nach oben. Ich merke, wie ich langsam den halt unter meinen Füßen verliere. Ich stehe auf den Zehenspitzen. Ich kann den Boden kaum noch spüren und kämpfe, um nicht den Halt zu verlieren. Aber egal wie sehr ich mich anstrenge, ich komme immer wieder ins wanken und verliere unweigerlich den Halt.

Aber das Seil, sie, hält mich. Nach einer gefühlten Ewigkeit in dieser ausweglosen Situation, reißt sie meine Beine nach oben und bindet sie auch am Bambus fest.

Zum Glück, nimmt sie noch ein weiteres Seil, um auch meiner Hüfte halt zu geben. Und so hänge ich nun da. Seitlich in der Waagerechten. Ich spüre den Druck der Seile an meinem Oberarm, der Hüfte und den Füßen.

Es ist unangenehm. Ich bin vollkommen hilflos, und kann die Situation nicht aus eigener Kraft verbessern. Also hoffe ich und vertraue darauf, dass sie da ist und mich rechtzeitig aus meiner misslichen Lage befreit.

Da ist sie wieder, ganz nahe und ich freue mich schon, auf die Erlösung. Aber anstatt mich zu erlösen, nimmt sie ein weiteres Seil, bindet es um meine Taille und gibt Spannung darauf. Das Seil macht es mir schwer zu Atmen. Ich muss mich voll und ganz auf meine Atmung konzentrieren, um irgendwo in meinem Körper noch eine Stelle zu finden, wo ich hin atmen kann. Mit jedem Atemzug schneidet sich das Seil immer tiefer in meine Haut und verursacht immer größere Schmerzen.

Ich bin am Ende. Ich weiß nicht, wie viel ich noch ertragen kann. Also versuche ich mich auf sie zu konzentrieren. Aber wo ist sie? Ich höre sie nicht mehr. Ich kann sie nicht mehr spüren. Hat sie mich verlassen? Ich merke, wie das Vertrauen schwindet. Die Angst in mir wächst und macht die Situation für mich immer unerträglicher.

Gerade in dem Moment, wo ich aufgeben will, streicht sie mir über den Kopf und spricht mit Mut zu. Ich merke sofort, wie viel Kraft es mir gibt zu wissen, dass sie noch da ist, dass sie mich sieht, dass sie mich hält.

Es ist noch kein kleiner Augenblick, dann fängt sie an, mich wieder zu befreien. Sie lässt mich an den Seilen langsam zu Boden ab. Ganz behutsam löst sie ein Seil nach dem anderen. Ich spüre wie ich Stück für Stück immer mehr Freiraum bekomme, wie es mir wieder leichter fällt zu atmen. Nach dem sie alle Seile entfernt hat, setzt sie sich an mein Kopfende, legt meinen Kopf in ihren Schoß und streichelt mich sanft. Ich liege da, in ihrem Schoß und werde gehalten. Ich bin ihr ganz nah und spüre all die Dankbarkeit und Liebe, die sie ausstrahlt.

Von den Strapazen gezeichnet und völlig erschöpft, aber über glücklich und auch ein wenig stolz, dass ich es durchgestanden habe, und erstaunt, wie widerstandsfähig ich sein kann, schlafe ich in ihren Armen ein.

Amen.

Rede zur ReclaimYourKiez Demo

2023-09-23 Sarah

Es ist schön zu sehen, wie viele Menschen hier sind. Danke, das ihr alle hier seid um für eine offene und tolerantere Gesellschaft einzustehen. Danke, das du da bist. Und Danke, das ich hier stehen darf und gehört werde.

Ich bin Sarah, queerpolitische Aktivistin in und aus Köpenick. Ich habe das große Privileg im Moment keiner Erwerbsarbeit nachkommen zu müssen, und kann deshalb sehr viel Zeit und Energie in meine ehrenamtliche Arbeit stecken. Ich bin aktives Mitglied der deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Dort beteilige ich mich an der Meinungsbildung zur Bundespolitik und Gesetzesvorhaben, wie ganz aktuell das Selbstbestimmungsgesetz. Und berate trans Personen und deren Angehörige. Hier im Bezirk habe ich unter Anderem das Team Queer Treptow-Köpenick mit gegründet. Wir sind eine Gruppe von Einzelpersonen, Vereinen, Initiativen, der Kirche, Parteien und der Verwaltung. Wir machen das queere Leben im Bezirk sichtbar und wollen Anlaufstellen und Beratungs- und Bildungsangebote schaffen.

Ich habe gerade eine scheiß Angst, hier zu stehen. Weil ich mich in diesem Moment zur Zielscheibe der Nazis mache.

Letzte Woche auf der Kundgebung gegen die AfD, hat sich ein guter Freund hingestellt und eine Rede gehalten. Noch am Rande der Demo hat er dann eine Morddrohung erhalten. Die Gefahr ist also da und sehr real. Ich habe aber auch das Privileg, ein großes Netzwerk zu haben das mich schützt und auffängt. Für mich ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem ich für meine Rechte aufstehe und laut werde!

Ich! bin! hier!

Ich habe das Recht in Freiheit und Würde zu leben und ich werde dafür kämpfen. Ich lasse mich nicht mehr Einschüchtern!

Ich habe Angst. Ich habe jeden Tag Angst. Jeden Moment in dem ich draußen bin, habe ich Angst davor wieder das Ziel einer queerfeindlichen Attacke zu werden. Queerfeindlichkeit ist im Register das einzige Motiv, das in den letzten 3 Jahren stetig gestiegen ist. 2020 waren es noch 8 gemeldete Fälle, letztes Jahr schon 27. Und dieses Jahr waren wir Mitte September bei 38 Vorfällen. Und das allein hier im Bezirk. Das sind die offiziellen Zahlen. Das sind Vorfälle, bei denen sich jemand die Mühe gemacht und sie gemeldet hat. Die Dunkelziffer ist um ein vielfaches höher. Das die Zahlen steigen liegt nicht daran, das wir verstärkt auf das Thema achten und melden. Nein, der Ton ist wirklich rauer geworden. Als ich mich vor drei Jahren geoutet hatte, habe ich vielleicht einmal pro Woche einen transfeindlichen Kommentar abbekommen. Mittlerweile werde ich beinahe täglich Beleidigt oder ausgelacht. An einigen Tagen passiert mir das auch mehrmals.

Ich alleine könnte also fast jeden Tag einen Vorfall melden. Ich mache das aber leider nicht, weil ich den einzelnen Vorfällen nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken möchte, weil es mir persönlich nicht gut tut und es mich zusätzlich belastet.

So wie mir geht es sehr vielen hier im Bezirk. Und wir brauchen Unterstützung. Von der Polizei können wir leider nichts erwarten. Bis die sich bewegen, muss es schon richtig eskaliert sein und auch dann machen sie in der Regel mehr Probleme, als sie lösen. Und so lange die ihre interne Nazi-Seuche nicht in den Griff bekommen, traue ich denen nicht.

Am Ende bleibt uns nur noch die Zivilgesellschaft. Also ihr. Und schaut euch mal um. Ihr seid viele. Wenn ihr das nächste mal einen rassistischen, queerfeindlichen oder sonst irgendwie diskriminierenden Vorfall mitbekommt, macht bitte den Mund auf. Lasst das nicht so im Raum stehen und lasst uns nicht alleine.

Zeigt uns, das ihr da seid. Meldet den Vorfall zum Beispiel an das Register. Für uns sind die Ereignisse meistens zu Belastend, um sie später nochmal aufzurollen und zu melden. Und zeig den Arschlöchern, das deren menschenverachtende Aussagen und Taten hier nicht geduldet werden. Und, das Hass keine Meinung ist.

Wo das hinführt, wenn wir deren Aussagen so stehen lassen, sehen wir ja gerade, wenn wir uns die Gesellschaft anschauen. Und ich habe auch Angst vor der Zukunft. Letzte Woche kam bei einer Studie heraus, das mittlerweile 8% der Menschen in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilen. Plus etwa 20% mit einer starken Tendenz in diese Richtung. Und es werden noch mehr werden, wenn wir nicht endlich anfangen dagegen zu halten.

Die Politik wird uns da nicht helfen. Dort hält man es für eine gute Idee, die Themen der Faschisten zu übernehmen und ihnen damit viel zu viel Raum zu geben. An den Bereichen, die essentiell für die Demokratie sind, soziale Projekte und in der politischen Bildung wird jetzt gespart. Dabei brauchen wir mehr, statt weniger Angebote.

Im April wurde uns noch für jeden Bezirk die Stelle einer queerbeauftragten Person versprochen. Und zwar als Vollzeitstelle. Wenn ich jetzt mal Nachfrage, was damit ist, bekomme ich zu hören, das kein Geld da ist. Hier in Treptow Köpenick kann das ja die Gleichstellungsbeauftragte nebenbei übernehmen, es gibt aber keine zusätzlichen Mittel.

Das Selbstbestimmungsgesetz, wird seit Jahren verschleppt. Betroffenen wird nicht zugehört, aber den Schauermärchen der transfeindlichen Populist*innen wird wiedermal viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der aktuelle Entwurf ist voll von Misstrauen gegen uns. Es gibt sinnlose Wartefristen, um einem möglichen Missbrauch vorzubeugen. Es ist explizit erwähnt, dass das Hausrecht davon unberührt bleibt. Was an der aktuellen Situation nichts ändert, aber den Eindruck entstehen lässt, dass Diskriminierung nun über das Hausrecht erlaubt wird. Unsere Daten sollen automatisch an sehr viele Behörden, darunter die Bundespolizei, das BKA und den Verfassungsschutz, übermittelt werden. Ehrlich gesagt, frage mich nicht ob, sondern wann die ersten rosa Listen angefertigt und an die Nazis weitergegeben werden.

Das macht mir Angst und das sollte euch auch Angst machen. Noch betrifft es euch vielleicht nicht, aber die Geschichte lehrt uns, das es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr an der Reihe seid. Wir dürfen uns von dieser Angst nicht lähmen lassen. Wir müssen diese Angst als Warnung sehen und endlich anfangen etwas zu tun. Auch wenn ich aktuell wenig Vertrauen in die demokratischen Institutionen habe, müssen wir sie nutzen und mit allen Mitteln schützen. Demokratie fängt schon im kleinen, bei uns und den Menschen um uns herum an. Nur gemeinsam können wir etwas Verändern.Ich sage euch aber auch, es ist harte Arbeit und wird anstrengend.

Wir müssen anfangen Brücken zu bauen und wieder aufeinander zu zugehen. Schluss mit wir gegen die Anderen.

Wir müssen anfangen Gemeinsamkeiten, statt Unterschiede zu suchen. Und die Unterschiede feiern.

Wir müssen wieder einander zuhören.

Wir müssen lernen Widersprüche auszuhalten.

Wir müssen einander erlauben Fehler zu machen und uns dabei unterstützen, dazu zu lernen.

Wir müssen lernen Kritik auszuhalten und uns selbstkritisch hinterfragen.

Und vor Allem: Müssen wir gemeinsam und solidarisch für einander einstehen.

Danke

Ältere Beiträge